Trinklernbecher
Trinklernbecher
Mit dem Beginn der Beikost stellen sich die meisten Eltern auch die Frage: "Muss mein Kind jetzt auch Wasser trinken und wenn ja woraus?"
Wenn du dich in den entsprechenden Läden umschaust, findest du eine riesengroße Auswahl an sogenannten „Trinklernbecher“. Mit kleinem Schnabel aus Hartplastik oder Silikon, mit einer 360° Öffnung mit Silikonlippe oder mit Strohhalm. Für jedes Kind mit unterschiedlichen Vorlieben. Und ein Becher ist scheinbar besser für die Entwicklung als der andere. Zudem sind sie praktisch, da nichts so schnell ausläuft, aber wirklich "gut" und sinnvoll für die Entwicklung sind sie eigentlich nur für dich als Mama/Papa. Denn ein Kind muss nicht „trinken“ lernen und braucht dazu auch keinen speziellen Becher.
Gastbeitrag von Lina von Stillbar Hamburg
Wie schlucken Kinder eigentlich?
Eigentlich nicht viel anders als Erwachsene. Weswegen es auch von Anfang an Sinn ergibt, hier keine anderen Saug- und Schluckmuster zu „erlernen“. Beim Stillen und an der Flasche unterscheiden sich die Abläufe der Zungenbewegung und die aktivierten Muskeln. Wenn wir jedoch von der Physiologie, also vom Stillen ausgehen, liegt die Zunge über der Zahnleiste und macht entlang der Brust von der Zungenspitze aus eine Wellenbewegung in Richtung Gaumen. Sie liegt durchgehend an der gleichen Stelle und bewegt sich nur in sich. Beim Trinken und auch Essen aus offenen Gefäßen oder bei fester Nahrung liegt die Zungenspitze etwas weiter hinten, kurz hinter den vorderen Schneidezähnen/der Zahnleiste und macht genau dieselbe Wellenbewegung in Richtung Gaumen, um alles zum Schlucken nach hinten zu transportieren. Die Lippen sind dabei geschlossen. Babys im Beikostalter lernen noch den gezielten Umgang mit dem Getränk oder der Nahrung im Mund, so dass die Zunge manchmal noch eine leichte Vorwärtsbewegung macht (kann auch mit einem noch bestehenden Zungenstoßreflex zusammenhängen). Bei jeglichen Trinkgefäßen, die entweder einen Schnabel, Sauger, Strohhalm oder ähnliches habe oder an denen man irgendwie saugen muss, können diese physiologischen Abläufe stören.
Auch wenn es Alternativen gibt, sind für manche Familien Trinklernbecher notwendig. Wichtig ist hier immer ein reflektierter und bewusster Umgang. Denn keiner dieser Becher unterstützt wie schon gesagt ein physiologisches Trinken und Schlucken, sondern aktiviert genau im Gegenteil Muskeln und Abläufe, die in diesem Zusammenhang nicht sinnvoll sind. Bei jedem Becher oder auch einer Flasche mit Sauger kann die Zunge nicht die richtige Position einnehmen, um sich wie in einer Wellenbewegung am Gaumen entlang zu drücken, was bei der Ausformung dessen hilft. Auch die meisten sogenannte 360° Becher, die theoretisch den Platz für die Zungen lassen, sind aufgrund der unphysiologischen Saugbewegung die ausgeführt werden muss nicht besser. Die aktuelle Studienlage sagt nicht klar aus, ab welcher Nutzungsdauer es bleibende Veränderungen gibt. Was wir aber von anderen Saug-/Lutschgewohnheiten wissen, dass die Dauer der Nutzung eine starke Auswirkung hat. Also wie oft und dabei wie lange am Tag und bis zu welchem Alter. Insbesondere wenn sich nicht nur Wasser in den Bechern befindet, ist vom einem „Dauernuckeln“ abzuraten, da das ständige Umspülen der Zähne diese schädigen und zu Karies führen kann.
„Klassische“ Trinklernbecher
Die meist benutzen Trinklernbecher sind Schnabeltassen (harter oder weicher Schnabel), Strohhalmbecher, 360° Becher oder manchmal auch Flaschen mit Sauger.
Aus logopädischer Sicht werden meist Strohhalmbecher oder 360° Becher, an denen nicht gesaugt werden muss, bevorzugt. Die Vorteile sind, wie bei allen Trinklernbechern, dass sie (fast) auslaufsicher sind. Beim Strohhalmbecher sollte immer auf einen so kurzen Strohhalm wie möglich geachtet werden, damit dieser nur zwischen den Lippen liegt und der Zunge genug Platz bietet.
Beim all bekannten 360° Becher sollte wie gesagt nicht an der Silikonlippe/Membran gesaugt werden müssen, da dies unphysiologische Trink- und Schluckmuster fördert. Dies zeigt sich auch darin, dass die Kinder diese Art des Trinkens erst mühsam lernen müssen (klar, daher "Trinklernbecher") und man beobachten kann, wie sich der Unterkiefer nach vorne schieben muss. Dies brauchen und sollen Kinder beim Trinken nicht machen müssen.
Auch beim Trinken aus einer Schnabeltasse werden die Lippen unphysiologisch eingesetzt und durch den Schnabel kann die Zunge nicht ihre normalen Bewegungsabläufe beim Schlucken durchführen. Häufig drückt die Zunge auch gegen den harten Schnabel und auch bei den weichen bieten kaum mehr Bewegungsspielraum für die Zunge. Bei diesen Bechern kommt noch hinzu, dass die Kinder besonders am Anfang den Kopf stark überrstrecken, um etwas zu trinken. Dies erhört die Gefahr des Verschluckens und es werden Fähigkeiten „erlernt“ die beim Übertrag auf das Trinken aus einem offenen Gefäß hinderlich sind. Das zeigt sich bei allen geschlossenen Trinklernbechern. Das korrekte Handling, die Kippneigung und die Fließgeschwindigkeit des Getränkes, kann nicht erlernt werden!
Welches Gefäß ist denn nun geeignet?
Für ein gestilltes oder auch per Flasche ernährtes Kind ist der nächste Schritt das Trinken aus einem offenen Gefäß. Zum einen, weil es von der Nutzung der Muskeln und des Schluckens physiologisch ist, aber auch weil sie es am Ende eh können sollen und kein Zwischenschritt notwendig ist. Ähnlich wie beim Laufen lernen. Kein Kind braucht „Lauflernhilfen“.
Genutzt werden können hier unterschiedliche, im Idealfall kleine Gefäße, die schon gut mitgehalten werden können.
Kleine Schlucke zu nehmen, das Dosieren der Flüssigkeit und der Kippneigung sind alles feinmotorische Fähigkeiten die bei einem Baby noch nicht ausgereift sind, aber schon hier erlernt werden können. Dass nichts verschüttet wird, ist also nicht das Ziel. Vielmehr sollten Kinder lernen, wie weit sie den Becher/das Glas kippen müssen, um nichts zu verschütten und das geht nur über das Learning by Doing! Die Sorge vor viel Wasser überall ist zwar berechtigt, aber ein Kind, das entwicklungsgerecht lernen kann damit umzugehen, erlangt auch eher die Fähigkeiten dies richtig zu tun.
Oftmals werden Schnapsgläser oder Eierbecher für die ersten Trinkversuche empfohlen. Der große Vorteil ist die kleine Ansatzfläche für die Lippen (große Öffnung wäre, wie wenn wir versuchen aus einem Eimer zu trinken), die physiologischen Bewegungsabläufe dieser und der Zunge, der meist kleine Umfang zum „mithalten“ für kleine Babyhände und auf lange Sicht das Erlernen der feinmotorischen Fähigkeiten rund ums Trinken. Alle Gefäße, die transparent sind, helfen dir als Mama/Papa auch beim Anbieten. So kannst du besser sehen, wie die Kippneigung ist und wann Wasser auf die Lippen trifft. Der Nachteil bei diesen Gefäßen ist, dass sie schnell beim Ausprobieren auch runterfallen und zerbrechen können.
Alternativ gibt es auch kleine Kunststoff oder Silikonbecher, die auch die anderen Vorteile mit sich bringen, aber robust sind.
Für unterwegs kann natürlich auch ein Becher mitgenommen werden und dann etwas umgefüllt oder man nutzt (Edelstahl-)Flaschen mit einer runden Öffnung. Schwierig ist hier meist, dass nicht sichtbar ist, wann das Wasser an die Lippen kommt und die Kinder die Flaschen zu Beginn noch nicht alleine öffnen und halten können. Dafür sind sie robust, auslaufsicher, leicht zu reinigen und können über einen langen Zeitraum hin benutzt werden.
Fazit
Für individuelle Situationen können Trinklernbecher praktisch sein, aber nicht für den regelmäßigen Dauergebrauch. Von der falschen Zungenruhelage, über eine offene Mundhaltung, bis zu einem falschen Schluckmuster können die Auswirkungen reichen. Bewusst eingesetzt, zum Beispiel unterwegs, sollten keine negativen Einflüsse entstehen. Aber für eine altersgerechte Entwicklung deines Kindes sind sie nicht notwendig.
Disclaimer: Für Kinder mit besonderen individuellen Bedürfnissen oder medizinischen Grunderkrankungen gelten diese Empfehlungen so nicht. Für diese Kinder steht möglicherweise Autonomie und Teilhabe im Vordergrund und hierfür können Trinklernbecher ein wichtiges Hilfemittel sein.